Leseprobe aus dem Roman:

In den Schuhen des Anderen

1An der Strasse, die vor ihm nur hingeworfen zu sein schien, hatte die Natur an den Rändern noch einige Bäume vergessen. Die gleißende Sonne zeichnete Streifen auf den breiigen Asphalt, über ihm lag der Gibralfaro, und vom nahen Hafen blies der Wind das Aufheulen einer Schiffssirene herüber. Ein Kreuzfahrer signalisiert das baldige Ablegen.

Vor einigen Stunden war er mit dem Flieger draußen vor Torremolinos gelandet. Eine alte Taxe hatte ihn in das Zentrum des Ortes gebracht.
Auf der Fahrt hatte er feststellen müssen, dass die Palette der Hotelneubauten sich in die Höhe schraubend vergrößert hatte. Bei einem deutschen Bier genoss er eine Portion Calamares, anschließend fuhr er mit der Schnellbahn – halt im Untergrund – in die Stadt.
Als er den Wagen an der Endstation entstieg, stand er dem bulligen schwarzen Stier gegenüber, dessen Silhouette sich vor der rotglühenden, im Untergehern befindlichen Sonne bedrohlich abhob. Das Coupé in welchem er gesessen hatte, war in der Untergrundstation direkt vor den übergroßen Osborn-Werbeplakat zum Stehen gekommen.
Im Strom der mit ihm entstiegenen Fahrgäste, drängte er die ihm endlos erscheinende Treppe nach obern. Ein barfüßiger Jüngling stieß ihn an die lindgrün gekachelte Wand, an der er für einen Moment eine angenehme Kühle verspürte. Fast war er dem jungen Mann dankbar. Zwei, drei Stufen höher, schlug ihm die heißblütige Luft entgegen und er musste seine Augen einen Herzschlag lang vor dem gleißenden Licht schützen. Nachdem sich seine Augen an das beißende Hell gewöhnt hatten, setzte er seinen Weg fort.
An der Ecke zur Alameda Principal kickte sein Fuß eine eingedrückte Limonadendose in den Rinnstein, wenige Meter weiter überholten seine Beine eine Gruppe rucksacktragender Touristen. Zielstrebig betrat er an der Calle Panaderos eine winzige Bodega, in deren schattigem Inneren er ein Glas Cherry im Stehen trank. Es war einer von der guten, trockenen Sorte, den er so liebte. Um den Kontakt mit dem hitzigen Licht der Strasse nicht abreißen zu lassen, blickten seine Augen sinnend auf den kleinen Ausschnitt langsam erlahmenden Außenlebens, der ihm der schmale Eingang bot. Er war sich der Nähe des Mercado Central bewusst; Erinnerungsfetzen machten ihn lächeln
Einige Durostücke fielen auf den kurzen Tresen, wobei eines rollend, einen immer kleiner werdenden Kreis beschrieb, bevor es schnell klappernd neben den anderen zu liegen kam, Mit der darauf wieder einsetzenden Stille hatte er den alkoholatmenden Raum verlassen.

Die riesigen Scherengitter des hufeisenförmigen Eingangstores der Markthalle waren bis auf einen schmalen Spalt zusammengeschoben,. Durch ihn zwängten sich vereinzelt dickliche Frauen, deren Arme um Einkaufstaschen und Obsttüten geschlungen waren.

Auf der Westseite war das große Tor noch gänzlich geöffnet. Gummibeschürzt wuschen die Fischhändler ihre Verkaufstische. Wasser spritzte aus grünen Plastikschläuchen auf den Steinboden und diebische Katzen flüchteten mit halb abgenagten, knorpeligen Skeletten in sichere Winkel. Das geschäftige Treiben hinter sich lassend, bummelte er an den kleinen seitlich des Marktplatzes liegenden Geschäften vorbei, deren Besitzer die auf dem Gehweg stehenden Auslagen in die Obhut ihrer Läden trugen, oder sich anschickten, Fenster und Türen für die beginnende Siesta zu verschließen.
Ohne auf die Uhr blicken zu müssen, wusste er, dass es auf die Minute genau 13.30 Uhr war,

Schlendernd die Umgebung voll in sich aufnehmend, erreichte er den palmenbestandenen Paseo del Parque, wo er an der Oficina de correos den breiten Fahrdamm überquerte, um auf der rechten, dem Hafen zugekehrten Seite, der Plaza de Toros zuzuschreiten,
Hier, in der kleinen Parkanlage fütterten die Kinder immer noch die gleichen schwarzen Schwäne und buntgefiederten Enten, hier saßen wie eh und je die Rentner auf den Bänken im Bereich von Eduardo Odon unter den Fächern der hohen Gewächse, Schutz vor der brennenden Mittagssonne findend, um den Gedanken einer, sich längst entfernten Zeit nachzuhängen,
Jemand, den er kaum wahrnahm, streckte ihm seine Hand entgegen. Träumend vor sich hinlächelnd, kramte er in seiner Hosentasche. Dann wurde er sich seines Tuns bewusst, griff in die Brusttasche seines Hemdes, entnahm dem sich darin befindlichen Geldbündel einen größeren Schein. Nachdem er ihn in die Hand des vor ihm Stehenden geknittert hatte, entfernte er sich schnell. Die ihm nacheilenden Worte: „Gracias Senor“, schüttelte er von dich ab.

Die Plakate an der Arena kündeten von einer „corriada de toros“, mit dem „besten Torero aller Zeiten“. Ihm schien nicht wichtig, wann dieses Todesballett aufgeführt werden würde. Nur flüchtig streiften seine Blicke die bunten Poster. Sein Augenmerk richtete er vielmehr auf die Kirche, die in Hörweite des Kampfrunds stand. Die zwei kleinen Wohnblöcke flogen seitlich an ihm vorbei, dann hatte er die schwere Holztüre erreicht, die Widererwartens weit offen stand.