Leseprobe aus dem Kurzgeschichtenband "Am Horizont weiter geradeaus":

 

 

Eine Rikschatour

 

Wieso erniedrigend? Wieso ausbeuterisch? Der macht das gut und vermutlich besser als viele andere hier im Dorf. Würde er sonst in aller Frühe so pünktlich auf uns warten? Für Kundschaft ist er immer dankbar, und für europäische erst recht.“

 

Wir hangeln uns auf den zerschossenen Wachstuchsitz und zwängen uns auf die viel zu schmale Bank. Solch romantische Unbequemlichkeiten exotischer Halbzivilisation nehmen wir als Dritte-Welt-Touristen hier gern in Kauf. Dem Geschmack von Freiheit und Abenteuer geben sie erst die richtige Würze.

Endlich, oben auf dem schwankenden Gefährt angekommen, gebe ich mit dynamisch-großzügiger Geste das Zeichen, dass die Landpartie beginnen möge.

Sie beginnt aber nicht!

Die kräftige Steigung der Straße haben wir natürlich übersehen. Umso besser, denn das gibt mir Gelegenheit zu beweisen, wie sehr sich unsereins doch vom Pauschaltouristen unterscheidet. Schnell springe ich ab, schiebe bereitwillig ein paar Meter mit, zeige mich entgegenkommend, beweise meine wohlwollende Solidarität mit der so sympathischen eingeborenen Bevölkerung.

Und nun geht es auch wirklich los. Langsam zwar, denn der Ceylonese ist halt zierlich gebaut, doch hat meine tatkräftige Entwicklungshilfe das dörflich-rückständige Rikschaunternehmen energisch über den Berg gebracht.

In der feuchten Hitze des Morgens schlafen die meisten Dorfbewohner noch. So sehen nur wenige das seltsame Gespann, uns obenauf, 140 Kilogramm Lebendgewicht, geduckt unter dem kläglichen Baldachin. Vielleicht ein bisschen viel Masse für die selbst gebastelte Rikscha.

So richtig bequem will es uns nicht werden, denn Kanten und Ecken scheinen nach uns zu stoßen. Das Dreirad schüttelt sich widerwillig, klappert wie protestierend mit allen Schrauben. Dabei geht es doch langsam voran. Sehr langsam sogar!

Ist das vielleicht der Grund, dass wir immer gebannter auf den Rücken unseres Vordermannes starren müssen? Dieser Rücken, der sich beim Treten dehnt und streckt, dessen Muskeln unter der schwarz glänzenden Haut arbeiten, dessen Knochen sich unter dieser Haut abzeichnen.

‘Scheint ganz schön zu schwitzen. Wahrlich kein leichter Job. Ich jedenfalls möchte da vorne nicht sitzen und für die Fremden treten und schuften. Aber die hier sind’s ja gewohnt. Sie kennen es nicht anders. Wollen sie es nicht sogar? Reißen sie sich nicht darum, für die reichen Weißen arbeiten zu dürfen?‘

Plötzlich hält er und keucht. Er müsse Luft nachfüllen. ‘Klar doch, aber gern, wenn es damit leichter geht.‘

Peter und ich wechseln hilflose Blicke, lächeln uns unsicher zu. Aber eigentlich ist uns zum Heulen. Wir spüren den dringenden Wunsch, uns irgendwie leichter zu machen. Empfinden es als angenehm, dass dadurch die Bequemlichkeit erheblich beeinträchtigt wird, denn nun haben wir endlich das Gefühl, selber zu leiden. Ich wünschte, wir könnten die Plätze tauschen, wünschte, ich säße da vorn auf dem Rad und der arme Kerl auf meinem Sitz. Aber so einen Tausch würde er sicher nicht annehmen. Er würde glauben, wir wollten uns über ihn lustig machen.

Jetzt radelt er schon im Stehen!

Jeder Tritt, jede Kraftanstrengung von einem Bein auf das andere wird zur Qual in Zeitlupe. Und immer weiter.

Jetzt treibt es uns das Wasser aus den Poren. Er aber hält durch. Da müssen wir auch wohl durchhalten. Hat je einer unserer europäischen Vorfahren, die hier ihren Bedarf an Kolonialwaren gedeckt haben, so geschwitzt, so gelitten, wenn er sich spazieren fahren ließ auf dieser Straße, die immer noch weiter geht?

Endlich winkt, ein Vorbote der Erlösung, das Ortsschild von Maho.

Ein paar hundert Meter noch.

Nach besten Kräften versuchen wir unsere Schwere zu mindern, liften unsere Hintern so gut es geht, und wissen doch, dass, so sehr wir uns auch bemühen, dadurch gar nichts leichter wird.

Und dann, dort um die Ecke, das muss der Bahnhof sein!

Ja, wirklich! Unser Treter dreht sich zu uns um, schweißglänzend, und lächelt stolz. Er hat seine Arbeit getan, seinen Lohn verdient, atmet schwer durch und merkt nicht einmal, wie wir noch tiefer atmen.    

 

Da kaufen wir uns schnell frei und zahlen, um unser Gewissen zu erleichtern, den doppelten Preis und doppelt erniedrigt stehlen wir uns davon.