Leseprobe aus dem Märchenbuch:

 

Das bunte Schaukelpferd

  

Bedächtig und mit sicherer Hand führte er die Pinselstriche aus. Im Kamin knistete das haustrockene Holz. Die Scheiben des kleinen Fensters waren blind. Man konnte von innen nicht sehen, dass draußen der Schnee leicht rieselte.

Es war dunkel draußen und der kleine Raum wurde durch das Kaminfeuer und eine Petroleumlampe nur spärlich beleuchtet.

Immer wieder tauchte der alte Mann die Pinsel in die zahlreichen Töpfe und führte sie anschließend an das Holz. Liebevoll streichelte er dabei das gepolsterte Rückenteil.

Das Gesicht des Mannes war trotz der vielen Runzeln sanft und strahlte viel Ruhe und Zärtlichkeit aus.

Gelegentlich legte er ein neues Stück Holz in den Kamin. Sofort umrahmten es die Flammen und züngelten daran empor. Es dauerte dann auch nicht lange dann hatten sie vollends Besitz von ihm ergriffen.

Der Fußboden bestand lediglich aus fest getretenem Lehm, welcher an einigen Stellen uneben zu sein schien. Dieser Eindruck wurde möglicherweise auch nur durch die vielfältigen Schatten des Feuers und der schwachen Lampe hervorgerufen.

Die Farbtöpfe standen auf einem grob gezimmerten Tisch, der mitten im Zimmer stand und unter den zwei ungehobelte Stühle geschoben waren. Wohl hatte der Mann seine Möbel selbst getischlert. Auf einem dritten Stuhl saß der alte Mann mit dem runzligen, Zärtlichkeit ausstrahlenden Gesicht. Der Tisch und die Stühle waren die einzigen Möbel in dem Raum.

In einem zweiten, kleinen, stand ein altes Bett, auf dem einige zerschlissene Decken lagen. An den Wänden hingen zerschlissene Jacken und Hosen.

 

An diesem Abend ging der Alte nicht mehr vor die Tür. Lediglich der Hund, der vor dem Kamin gelegen hatte und die wohlige Wärme genoss, verschwand hin und wieder durch eine kleine Klappe, die der Mann seinetwegen in die Tür eingebaut hatte.

Kam der Hund zurück, strich er um die Beine des Mannes und legte sich wieder vor den Kamin. Sein Fell war nass und roch. Den Alten störte das nicht. Ruhig strich er weiter.

Noch in dieser Nacht sollte das Schaukelpferd fertig sein. Morgen war der fünfundzwanzigste Dezember – Weihnachten!

 

Stunden später war dann auch der letzte Pinselstrich gezogen.

Sorgfältig säuberte der alte Mann die Pinsel, stellte sie in ein Wasserglas und legte sich auf sein Bett, nachdem er noch zwei Stückchen Holz auf die Glut gelegt hatte. Der Hund kauerte sich vor des Alten Schlafstelle.

Mitten in der Nacht - weder der Mann noch der Hund hörten etwas - trat jemand in’s Zimmer, nahm das Schaukelpferd und verschwand ebenso lautlos, wie ers gekommen war.

Draußen wurde das kleine bunte Pferdchen auf einen Schlitten gestellt, vor dem sechs weiße Ponys gespannt waren. Die Zügel spannten sich und sofort fielen die Tiere in einen leichten Trab.

Ebenso wie das Licht lautlos im Haus erlosch, glitt der Schlitten über die weiße Fläche. Er schwebte über den Boden dahin, so dass nicht einmal die Spuren der Kufen sichtbar wurden.

 

Zur gleichen Zeit schlief der kleine Thomas fest und träumte von seinem Weihnachtswunsch und vom Christkind.

Schon vor Wochen hatte er seinen Wunschzettel abgeschickt. Nur zwei Sachen hatten darauf gestanden: Ein Tannenbaum mit Kerzen und Lametta, sowie ein Schaukelpferd.

Erst spät war er, aus Vorfreude auf das kommende Weihnachtsfest, eingeschlafen. Immer wieder hatte er sich gefragt, ob wohl sein Wunsch in Erfüllung gehen würde. Vielleicht hätte er sich nur den Tannenbaum wünschen sollen! Möglicherweise war der zweite Wunsch viel zu teuer, um erfüllt werden zu können.

Doch spielt für das Christkind Geld eine Rolle? Es hatte damit bestimmt keine Sorgen. Anders als seine Eltern, die jeden Cent dreimal umdrehen mussten, bevor sie ihn ausgaben.

Auch er, Thomas, musste viele Monate sparen, um der Mutter die kleine Nähkiste zu basteln, und dem Vater die dicke Zigarre kaufen zu können, die jetzt gut versteckt waren und die er ihnen morgen früh unter dem Tannenbaum geben wollte.

Nun, wenige Stunden vor dem lang ersehnten Tag, lag er in seinem Bettchen und träumte von dem Tannenbaum und dem Schaukelpferdchen, das ihm immer wieder in unterschiedlichen Formen erschien. Immer schöner, immer bunter.

Gerade als sich ein neues Traumbild zeigte, hielt der goldene Schlitten vor dem kleinen Haus der Eltern.

Wieder, ohne ein Geräusch zu verursachen, stellte es das kleine Wesen mit dem liebevollen Gesicht, den hellblonden Haaren und strahlend blauen Augen, einen Tannenbaum auf den kleinen Tisch in der Mitte des Raumes. An ihm hingen kleine Holzfiguren, Zimtsterne, feine Stanniolstreifen und süße Leckereien, die durch die vielen bunten Kugeln und brennenden Kerzen fast nicht zu sehen waren.

Unter diesen geschmückten Weihnachtsbaum schob es das bunt angemalte, gut gepolsterte Schaukelpferd.

Bevor es das Haus verließ, küsste das Christkind den schlafenden Thomas ganz leicht auf die Stirn.

Es bestieg wieder den goldenen Schlitten und setzte seine Fahrt fort und noch oft hielt es in dieser Nacht an den Häusern des Dorfes, in welchen kleine Jungen und Mädchen schliefen.

 

Vom Duft der brennenden Kerzen und den Süßigkeiten wachte der kleine Thomas auf. Noch im Schlafanzug und halb träumend stand er kurz danach vor dem liebevoll geschmückten Baum und dem kleinen, bunten Schaukelpferd.

Zweimal kniff er sich in den Arm, um sich zu vergewissern, dass er nicht mehr schlief.

Kaum dass er sich ein wenig von der Freude erholt hatte, stürzte er zu den Eltern in’s Schlafzimmer. Küssend weckte der Junge Vater und Mutter. Dann führte er die beiden voller Aufregung in sein Zimmer und zeigte ihnen die Weihnachtsgaben.

Voller Staunen sahen die Erwachsenen den Christbaum und das davor stehende, leicht wippende Schaukelpferd.

Ermunternd, nicht selbst verstehend, forderten sie Thomas auf, das Schaukelpferd auszuprobieren.

„Es hat meinen Wunsch gehört“, rief das Kind freudig. „Es hat mich lieb!“

Der Aufforderung und seinem eigenen Trieb folgend, bestieg der Junge das Pferdchen. Langsam zögernd, begann er zu schaukeln, und je mehr er sich bewegte, entschwebte er der Wirklichkeit.

 

Thomas verließ das Zimmer und flog in den Himmel.

War das ein wundervoller Ritt! Nicht schnell, nicht langsam! Nein, hatte er überhaupt eine Geschwindigkeit? Raum und Zeit schienen nicht mehr existent!

Plötzlich hielt der Flug inne!

Vor dem Schaukelpferd stand das Christkind. Voll Entzücken sah der Junge in das liebevolle Gesicht des Gottessohnes.

„Nun hast du mich gefunden“, sagte es und noch ehe es seine Worte voll ausgesprochen hatte, war es schon wieder verschwunden.

Minuten später, der Vater hatte das Schaukelpferd angehalten, kam der Junge ins Diesseits zurück.

„Papi, Mutti, ich bin dem Christkind begegnet! Es ist so wunderschön! Es ist...., es ist...., ihr könnte es euch nicht vorstellen. Lasst mich wieder zu ihm!“

Vater und Mutter verstanden nicht wo von ihr kleiner Sohn sprach. Sie sahen aber die klaren Kinderaugen, in denen alles Verstehen, alles Lebe und Schöne zu sehen war.

 

Den ganzen Weihnachtstag verbracht der Junge fast ausschließlich auf dem hölzernen und angemalten Pferd. Immer wieder entfloh er bei seinen Ritten der Wirklichkeit und es erschlossen sich ihm immer neue Welten.

 

Thomas wurde älter, und er entwickelte sich zu einem jungen Mann.

Das bunte Schaukelpferd geriet in Vergessenheit. Wohl auch dadurch, dass der, nun große Thomas andere Interessen hatte.

Die Polsterung war längst verschlissen und der Lack blätterte im Laufe der Zeit mehr und mehr ab.

Jahre später, die Mutter räumte den Keller auf, stieß sie unter einigen Kartons an  das Schaukelpferd. Kurz entschlossen trug sie es zu den anderen ausgesonderten Sachen, die später von der Müllabfuhr abgeholt werden sollten.

Der Zufall wollte es, dass gerade zu diesem Zeitpunkt ein Trödler die Straße entlang kam, der sich ausschließlich für das Pferdchen zu interessieren schien. Für ein paar Cent erstand er das unansehliche Spielzeug. Als der alte Mann das Pferdchen auf seinen Wagen lud, gingen der Mutter die Kinderjahre des Sohnes durch den Kopf.

Sie erinnerte sich an das Weihnachtsfest, als das Christkind in der Nacht das Pferdchen gebracht hatte.

Schon wollte sie den Verkauf rückgängig machen und wandte sich dem Trödler zu. Doch der war nicht mehr zu sehen.

 

In seiner einfachen Hütte, wo im Kamin ein Feuer zügelte und der Hund ab und zu durch die Klappe nach draußen lief, nahm der Alte die Pinsel aus dem Wasserglas und begann mit seiner Arbeit.

Viele Abende bastelte und strich er an dem Pferdchen herum, bis es am fünfundzwanzigsten Dezember wieder lautlos abgeholt wurde.

 

 

 

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